
Traditionen haben stets alle Gesellschaften geprägt. Sie dienen der Orientierung in der Lebensgestaltung. Sie sind in der Vergangenheit gewachsen und wollen auch in die heutige Zeit hineinwachsen. Daher bedürfen sie der Veränderung. Auch wir erzählen unseren Nachkommen das weiter, was unser christliches Leben geprägt hat: der Glaube. Dieser ist in einer Tradition verankert. Unsere heutige moderne Gesellschaft erlebt diesbezüglich einen Wandel. Die kirchlich interessierten und orientierten Menschen sind sozialen Veränderungen (Rückgang der Kirchenmitglieder) sowie pastoralen Herausforderungen (personelle Entwicklung, wachsende soziale Bedürfnisse, Kirchensteuern) ausgesetzt. Auch innerhalb der Kirche ist dieser Wandel deutlich spürbar, ebenso sind dessen Konsequenzen sichtbar geworden: vermehrt bleiben Gläubige der Kirche fern oder fühlen sich nicht mehr von der Verkündigung der Botschaft Jesu Christi angesprochen, einige Mitglieder treten aus der Kirche aus.
Uns miteinander den Herausforderungen der Zeit stellen
Im Jahre 1878 wurde den geschichtlichen Zeugnissen zufolge der Grundstein unserer Pfarreikirche in Tann-Rüti gelegt. Mit Blick auf das 150-jährige Jubiläum unserer Pfarrgemeinde am 24. September 2028, das sich langsam nähert, werden wir dazu eingeladen und in die Verantwortung genommen, dieses Ereignisses zu gedenken und das Werk sowie das Handeln von zahlreichen Bürgerinnen und Bürgern in den vergangenen 150 Jahren zu würdigen.
Es ist offensichtlich, dass der Umgang mit den Glaubensfragen nach Vertiefung ruft. Ein gelebter Glaube verlangt nach einem Zeugnis. Durch die Taufe treten wir in die Nachfolge und sind Zeugen des Kreuzestodes und der Auferstehung Christi. Wie der Römerbrief sagt: «Wisst ihr nicht, dass wir mit Jesus Christus gestorben sind, als wir auf seinen Namen getauft wurden?» (Röm 8, 3). Seinen Glauben leben heisst aber auch, ihn zu verantworten, schreiben namhafte Theologen unserer Zeit wie, Hansjürgen Verweyen (Botschaft eines Toten?, 1997) und Jürgen Werbick (Den Glauben verantworten, 2016).
Was kommt auf uns zu? Sind wir weiterhin verantwortungsvolle Mitgestalterinnen und Mitgestalter des innerkirchlichen Lebens unserer Pfarrgemeinde? Dazu ist es erforderlich, mit Blick auf die Neugestaltung unserer Pfarrgemeinde Heilige Dreifaltigkeit Rüti-Dürnten-Bubikon Schwerpunkte neu zu setzen. Vor diesem Hintergrund gehen wir bewusst dem Anliegen von Papst Franziskus nach, ein Gesprächsforum zu bilden, eine Glaubensgemeinschaft (ekklesia) zu schaffen, eine Kirche zu sein, in der sich die Menschen gemeinsam auf den Weg machen und ihre Erfahrungen im Glauben in einem offenen Dialog miteinander teilen. Dieser Einladung liegt das Anliegen zugrunde, das alle Vertreterinnen und Vertreter der verschiedenen Gremien unserer Pfarrei im November 2023 zu einer zweitägigen Versammlung im Benediktiner-Kloster zu Disentis zusammengeführt hat. Im Plenum, aber auch in Gruppen und Workshops erarbeitete man gemeinsam Ideen und mögliche Ansätze für die Zukunft unserer Pfarrei.
Gemäss dem Titel wollen wir uns «Miteinander den Herausforderungen der Zeit stellen». Die Zeit der flächendeckenden Versorgung wie bis anhin gehört offenkundig der Vergangenheit an. Neue an die heutige Zeit angepasste Glaubenserfahrungen benötigen wir mehr denn je. Angesichts der sozialen Umwälzungen und der gesellschaftlichen Veränderungen sind wir gefordert, neue Zukunftsaussichten in der Pastoral zu entfalten. Das Interesse der Menschen an der Kirche ist gesunken: nur wenige Leute lassen sich noch von der Sache begeistern. Die Faszination ist verblasst. Viele Menschen wenden sich von der Kirche ab. Daher ist es mir ein persönliches Anliegen zu fragen: Wie könnte es uns gelingen, Bewegung in die Kirche zu bringen? Wir merken, dass es uns bei all unserem Tun und Handeln um mehr geht als nur um Aktionismus oder gar um ein Lippenbekenntnis. Uns geht es vielmehr um ein glaubwürdiges Zeugnis in unserer Zeit. Das ist ein Wagnis, zu dem jeder getaufte Gläubige eingeladen ist. Darauf gestützt möchte ich die Frage an Sie richten: wie können wir die Zukunft unserer Pfarrgemeinde neugestalten? Diese Frage müssen wir mit aller Ernsthaftigkeit angehen. Das heisst für uns konkret, sich glaubend in den Wandel zu stellen. Und das wiederum bedeutet die Einladung, Verantwortung zu übernehmen, den Horizont zu erweitern und nach Lösungen zu suchen, damit Gottes Gegenwart unter uns Menschen weiterhin spürbar und seine Gnade heute wirksam werden kann.
Auf dem Weg zur Pfarrei der Zukunft
Ein Blick in die gegenwärtige Situation unserer Kirche lässt uns unschwer feststellen, dass die Kirche der Zukunft Veränderungen bedarf. Indem sie eigene Fehler einräumt und neue Wege anschlägt, statt Systeme oder Machtpositionen aufrechtzuerhalten, wird sie dazu beitragen, aus den festgefahrenen Gleisen herauszuspringen, um den verborgenen «Schatz der Erkenntnis Christi in zerbrechlichen Gefässen zu tragen» (2 Korinther 4,7).
An uns allen liegt es, das weiterzugeben, was wir durch den Glauben erfahren haben. Welch grosse Herausforderung in einer Zeit, in der manch einer den Abschied von Gott bereits genommen hat. Wir dürfen bei all unseren Enttäuschungen und Ängsten die Menschen um uns nicht vergessen. Deshalb treten wir in unserer Gemeinde entschieden dafür ein, dass die Menschlichkeit, die Humanität neu erlebbar und erfahrbar wird.
Was ist das Leitmotiv unseres Handelns? Was bewegt uns, neue Strukturen in der Pastoral unserer Pfarrgemeinde einzuleiten? Nach wie vor liegt uns die Erinnerung an das Abendmahl des Herrn und somit die Feier der Danksagung besonders am Herzen. Und zweifelsohne bleibt für uns die Feier der Eucharistie (Danksagung) im Zentrum unserer Liturgie. Dennoch wagen wir es, das Netz auf das andere Ufer des Sees auszuspannen. Dort entdecken wir, dass uns der Herr der Zeiten mit Überraschungen versorgt. Er lässt keinen von seinen Jüngern, die die ganze Nacht geschuftet und gefischt haben, mit leeren Händen ausgehen (s. Lukas 5,4). Er vertraut auch jedem von uns an, den Hungrigen beizustehen und ihnen Essen zu geben. Genährt werden wir ebenso vom Wort Gottes. Der Glaube, so schrieb der Jesuit und Theologe Peter Knauer, kommt vom Hören des Wortes Gottes (Der Glaube kommt vom Hören, 1991). Das geschieht zunächst in der Verkündigung des biblischen Wortes (Wort-Gottes-Feier), wofür jeder Getaufte die Sendung erhalten hat. Weiterhin erleben wir die Gegenwart des Herrn im Teilen des Brotes, das zur Nahrung für die vielen wird.
Vermeiden müssen wir alles, was das Leben einer Gemeinde verkrümmen lässt, wie es der Benediktiner-Abt Martin Werlen deutlich nahelegt, um so miteinander um den richtigen Weg zu ringen. Indem wir das Glaubensgut bewahren, wagen wir, wie Papst Johannes XXIII es tat, die Fenster zu öffnen und Horizonte zu erweitern, um sich so von zeitbedingten Äusserlichkeiten und einer von Selbstverständlichkeiten geprägten Kirche zu verabschieden. Daher werden wir zum Nachdenken eingeladen. Nichts muss so bleiben, weil es aus menschlicher Sicht immer so war. Nichts muss geändert werden, weil es scheinbar dem Wunsch von einem entspricht, alles zu ändern.
Es ist mir bewusst, dass manches, was wir uns neu vorgenommen und zugemutet haben, Übung und Mut verlangt. Es fordert uns heraus, Abschied von der einen oder anderen Gewohnheit zu nehmen (vgl. M. Werlen, Miteinander die Glut unter der Asche entdecken, p. 24.).
Worum es heutzutage eigentlich geht, wenn wir uns in Gemeinschaft versammeln (ekklesia/Kirche), das bezeugt offensichtlich unser Handeln. Unweigerlich geht es nicht darum, Äusserlichkeiten zu erhalten oder uns dem Zeitgeist anzupassen, oder ihm uns sogar anzugleichen. Vielmehr geht es darum, ein Zeugnis der Liebe und der Gegenwart Gottes sowie seiner heilenden Kraft in der Welt zu geben. Ganz besonders dort, wo Menschen ausgebeutet, abgelehnt, ausgegrenzt, misshandelt und auf der Flucht sind.
Unser Anliegen muss es sein, Familien in der Not zu unterstützen, Kindern und Jugendlichen den Weg zu öffnen in die Zukunft in einer engen Verbindung christlicher Wertevermittlung. Weiterhin muss es unser Anliegen sein, eine Gemeinde der Gläubigen zu sein, die ihren Blick auf die Gebeugten, Bedürftigen, Kranken, Gebrechlichen, Verzagten richtet. Unser Bemühen möge es sein, eine immer offene Pfarrgemeinde zu sein, die Jesu Gastfreundschaft und Barmherzigkeit ausstrahlt und verkündet: «Kommt und seht» (Joh 1,39).
César Mawanzi, Pfarrer